Der Funke der Begeisterung über den Bolivieneinsatz ist auch auf den Redakteur übergesprungen und führte zu diesem tollen Artikel.
Bei jeder Hilfsreise ist Improvisationstalent gefragt
LEUTE IN DER STADT: Der Arzt Martin Schwarz schließt jedes Jahr für zwei Wochen seine Praxis, um in Entwicklungsländern zu helfen.
Und plötzlich funktioniert das Narkosegerät nicht mehr. Das Betriebssystem sei veraltet und habe sich automatisch deaktiviert, heißt es. Die neue Software sei erst in knapp zehn Tagen zu bekommen. Der Arzt Martin Schwarz und sein Team stehen kurzzeitig etwas hilflos da, müssen dann aber schnell reagieren. Sie besorgen sich ein einfaches Beatmungsgerät und setzen die Eingriffe fort. Jeder verlorene Tag bedeutet fünf bis zehn verlorene Operationen.
Von kaputten Narkosegeräten und flackernden OP-Lampen kann der Chirurg stundenlang erzählen. Er hat schon vieles erlebt, Improvisationstalent war auf jeder seiner Reisen gefragt. 2005 flog Martin Schwarz mit einem Team nach Kuzhithurai in Indien, seitdem schließt er jedes Jahr für zwei Wochen seine Praxis in Freiburg, um in dieser Zeit in Länder zu fliegen, in denen seine Hilfe gebraucht wird. Ohne Gehalt, ohne Aufwandsentschädigung, einzig aus Nächstenliebe und Interesse.
Schwarz gehört Interplast an, einem gemeinnützigen Verein, der seit 1980 kostenlos plastische Operationen in Entwicklungsländern durchführt. Die Reise- und Materialkosten werden durch Spenden aufgefangen, alles Weitere müssen die Ärzte aus der eigenen Tasche bezahlen. „Natürlich ist es ein finanzieller Aufwand für alle Beteiligten“, so Martin Schwarz, „die Erfahrungen und der Nutzen für die Menschen aber sind unbezahlbar.“
2006 wird Schwarz von einem bolivianischen Freund gefragt, ob er nicht in sein Land kommen und den Menschen dort helfen möchte. Zwei Jahre später beginnt der erste Trip nach Bolivien, 2012 folgt der zweite. Im April dieses Jahres kam die dritte Reise zustande. Mit einem weiteren Chirurgen, zwei Anästhesisten und zwei OP-Schwestern ging es nach San José de Chiquitos, einer Stadt im Südosten Boliviens. Sie fanden dort ein Krankenhaus vor, das für 200 000 Einwohner zuständig ist. Ein OP-Saal, Instrumente und Geräte wurden zur Verfügung gestellt, vieles hatte das Team aber selbst mitgenommen, Material wurde größtenteils von kooperierenden Pharmaunternehmen gespendet.
Der Bürgermeister der Stadt hatte das Eintreffen der deutschen Ärzte im Radio und in der Zeitung groß angekündigt, die Menschen standen Schlange, um unter das Skalpell zu kommen. Sie fuhren teils mehr als 150 Kilometer mit dem Bus, die Chance wollte sich keiner entgehen lassen. 200 Frauen und Männer, Jungen und Mädchen hatten sich für einen Eingriff beworben, knapp 50 davon konnten in San José auch tatsächlich operiert werden. „Es ist schwer, Leuten abzusagen“, sagt Schwarz, mehr als fünf bis zehn Operationen am Tag seien allerdings kaum zu bewältigen.
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Ohrmissbildungen und Verbrennungen sind häufige Gründe für einen chirurgischen Eingriff in Entwicklungsländern. In Deutschland verlangen diese Symptome zwingend eine Operation, in Bolivien sind die Strukturen (noch) anders. Es gebe dort tolle Fachärzte, versichert Martin Schwarz, bedauert zugleich aber, dass viele von ihnen auswanderten. Zudem können sich die wenigstens Bolivianer medizinische Versorgung leisten.
Schwarz und sein Team machten eine kostenlose Behandlung jedoch möglich: 63 Operationen in zehn Tagen standen auf dem Programm, fast elf Stunden Arbeit täglich bei hoher Luftfeuchtigkeit und erdrückender Hitze. Er sei hitzeresistent, betont Schwarz, der es genießt, bei solchen Einsätzen immer wieder neue Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln, andere Kulturen und Leute kennenzulernen, und vor allem: zu helfen. Und das danken ihm die Menschen. Martin Schwarz erzählt von ehemaligen Patienten, die eine 400-Kilometer-Reise auf sich nehmen, nur um sich noch einmal für die Hilfe zu bedanken. Er berichtet von unzähligen Gastgeschenken, von strahlenden Kindern und dankbaren Eltern. „Uns geht es doch extrem gut“, sagt Schwarz. „Ich kann von unserer medizinischen Überversorgung denen etwas abgeben. Das ist doch herrlich.“
Link zum Artikel auf der Website der Badischen Zeitung (13.6.2014